Raus aus der Behindertenwerkstatt. Rein in den allgemeinen Arbeitsmarkt!
Mein Name ist Sven Papenbrock. Ich bin Anfang 30 und komme aus Berlin. Ich lebe mit einer Behinderung. Als ich aus der Lern- und Körperbehindertenschule gekommen bin, hatte ich zusammen mit meinen Eltern einen Termin bei der Agentur für Arbeit. Der Sachbearbeiter hat mich nur ein Mal angeschaut. Daraufhin hat er zu mir und meinen Eltern gesagt: „Ich habe aufgrund des hohen Hilfebedarfs für Sie nur eine einzige Lösung: eine Fördergruppe.“ Eine Fördergruppe ist der Ort, an dem Menschen mit so starken Behinderungen sind, die nicht in einer Behindertenwerkstatt arbeiten können. Das war ein ganz großer Schock, da ich mit dieser Entscheidung nicht gerechnet hatte. Ich bin davon ausgegangen, dass ich wenigstens in einer Behindertenwerkstatt arbeiten könnte. Ich wünschte mir andere Vorschläge, wie ich arbeiten kann, aber die gab es leider nicht. Daraufhin haben meine Eltern und ich uns zusammengesetzt und uns entschieden, dass wir diesen Vorschlag nicht annehmen. Die Frage war: „Wie kann ich es trotzdem in die Behindertenwerkstatt schaffen, um meine Fähigkeiten zu erweitern?“ Dazu haben wir mit einer Gruppenleiterin aus einer Behindertenwerkstatt geredet, ob sie noch eine Idee hat. Sie hatte die Idee, ein Pilotprojekt zu machen, um mich besser vorzubereiten. Diesen Vorschlag fanden wir gut. Deshalb haben wir nochmal mit meiner alten Schulleiterin Kontakt aufgenommen. Wir haben sie gefragt, ob ich nochmal für ein Jahr drei Tage in der Woche die Schule besuchen und die anderen beiden Tage in der Werkstatt arbeiten kann. Dem hat sie zugestimmt. Es wurde eine gute Lösung gefunden für meine speziellen Bedürfnisse. Nach diesem Jahr war ich dann so weit und konnte in den Berufsbildungsbereich der Werkstatt. Und nebenbei habe ich noch meinen Hauptschulabschluss geschafft. Doch eigentlich wollte ich immer auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Da arbeiten, wo andere auch arbeiten. Mit Anfang 20 bin ich von zu Hause in eine Wohngemeinschaft mit anderen mehrfach behinderten Menschen gezogen. Nach acht Jahren hatte ich das Bedürfnis, in eine eigene Wohnung mit Assistenz zu ziehen, weil ich mich weiterentwickelt habe und mehr selbst über mein Leben entscheiden wollte. Bei dem Assistenzdienst war eine Sozialpädagogin beschäftigt, die mir einen Flyer gab. Auf dem Flyer wurde „Die Wille“ vorgestellt – eine Organisation, die Menschen mit Behinderung oder Migrationshintergrund hilft, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden. Eine Mitarbeiterin von „Die Wille“ hat mit mir zusammen viele Bewerbungen geschrieben, unter anderen auch an die Sozialheld*innen. Diese haben mich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Danach haben sie mir ein Praktikum angeboten. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Die Sozialheld:innen wollten mich danach in ihr Team aufnehmen, doch um die Tätigkeiten besser ausführen zu können, haben meine Kolleginnen mir vorgeschlagen, dass ich über einen anderen Träger (BIS e.V.), noch ein Jahr einen Jobcoach und einen Computerlehrgang bekommen könnte. Doch um die zu bekommen, begann ein Kampf mit den Ämtern. Kein Mensch kennt sich dort aus, wie Wege aus der Werkstatt aussehen können. Es gab sehr viele Gespräche mit meinen Eltern, dem Inklusionsamt und allen Menschen, die mich unterstützen. Es gab viele große und kleine Steine auf diesem Weg. Erst nach mehr als einem halben Jahr und einer sehr anstrengenden Zeit für mich, stand fest: Ich werde auch Sozialheld. Seit dem 1. Mai 2022 bin ich fest bei den Sozialheld:innen. Meine Aufgaben sind gemeinsam mit meinen Kolleg:innen Workshops bei Organisationen zu geben, Texte auf leichte Sprache zu überprüfen und auch meine Expertise als Mensch mit Lernschwierigkeiten im Team mit einzubringen. Außerdem schaue ich mir Orte daraufhin an, ob sie barrierefrei sind. Wenn du also auch raus aus der Werkstatt für behinderte Menschen möchtest – oder jemanden kennst – rate ich dir: Ich kann stolz von mir behaupten, endlich da angekommen zu sein, wo ich immer hin wollte. Der Weg war steinig, aber es hat sich gelohnt.