Wo Netzwerke und IT-Kenntnisse Türen öffnen
Mitten in der Hamburger Innenstadt, in den modernen Büro-Neubauten des Brahmsquartiers herrscht hoch oben im 12. Stock reges Treiben. In Grüppchen wird sich angeregt unterhalten – meist auf Englisch –, bis sich alle mit Blick auf die improvisierte Bühne setzen.
Normalerweise arbeitet in diesen Räumen die Unternehmensberatung Jakala. An diesem Nachmittag im Juni sind knapp 100 Menschen auf Einladung der ReDI-School of Digital Integration hier zum DemoDay zusammengekommen. Sieben Männer und Frauen präsentieren ihre Abschlussprojekte. Sie alle sind noch nicht lange in Hamburg und lebten bis vor kurzem in der Ukraine, Sri Lanka, Ägypten oder Syrien. Von März bis Juni 2024 belegten sie Kurse bei der ReDI-School in HTML, Java Script, UX/UI Design, Python oder Machine Learning. Je nach Vorwissen auf Basis-, Intermediate- oder Fortgeschrittenem-Level. Unterrichtet wurden sie ehrenamtlich von Mitarbeitenden aus Hamburger Unternehmen wie Otto, Accenture, Microsoft oder CGI.
Die Einbindung lokaler Unternehmen ist ein wichtiger Baustein der ReDI-School of Digital Integration, die Ashoka-Fellow Anne Kjaer Bathel 2015 gründete, als viele geflüchtete Menschen nach Deutschland kamen. Mit ihrer Idee für eine gemeinnützige und kostenlose Tech-Schule schaffte sie Lösungen für gleich mehrere Herausforderungen: Mit dem erlernten IT-Wissen könnten Geflüchtete und andere Menschen, die einen erschwerten Zugang zu digitaler Bildung haben, schneller eine Arbeit finden, die öffentliche Verwaltung „Integrationskosten“ sparen und Unternehmen fänden schneller benötigte Fachkräfte und steigerten zudem ihre Arbeitgeberattraktivität, indem sie ihren Mitarbeitenden eine sinnvolle Engagementoption bieten. Außerdem spricht die ReDI-School gezielt Frauen an, um deren Anteil in IT-Berufen zu erhöhen. Ein Konzept, das aufgeht: Die Teilnehmendenzahl hat sich von 219 im Jahr 2016 auf 8011 im Jahr 2023 vervielfacht. Mehr als die Hälfte der Absolvent:innen haben seitdem eine feste Stelle gefunden mehrheitlich in der IT-Branche. Inzwischen gibt es neben dem Gründungsort Berlin, auch Standorte in München, NRW, in Dänemark und seit 2022 durch die Unterstützung von der Behörde für Wirtschaft und Innovation und die Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration auch in Hamburg auch in Hamburg.
Eine, die zum ersten Studienjahrgang in Hamburg gehörte ist Ayesha Khan. Sie hilft heute als Freiwillige beim DemoDay – eine Herzensangelegenheit für sie. Wenn man ihr zuhört, versteht man, welche Bedeutung die ReDI-School für die Teilnehmenden hat. 2016 zog Ayesha Khan für den Beruf ihres Mannes von Shanghai nach Hamburg. Aufgewachsen ist sie in Pakistan. Trotz Management-Studium, mehreren Jahren Unternehmensberatung in Top-Unternehmen und einer Unternehmensgründung in Shanghai musste sie in Hamburg nochmal von vorne anfangen: „Die Sprache, Kultur, die Verhältnisse, alles war total anders. Mit Englisch kam ich hier nicht weit und meine Studienanerkennung klappte auch nicht. Das hatte ich ehrlich gesagt so nicht erwartet.“ Um Fuß zu fassen, belegte sie Sprachkurse und studierte erneut Management auf Master. 2022 dann empfahl ihr eine Berufsberatung für Migrantinnen die kostenlosen Kurse der ReDI-School in Hamburg. Ein Angebot, dass die zweifache Mutter sofort reizte: „Ich hatte mich immer schon für IT-Themen interessiert. Aber in Pakistan ist das Jungs- und Männersache. Mein Vater hat mich deshalb mit diesem Berufswunsch nicht wahrgenommen.“
Die Chance, diesem Interesse nun in Deutschland nachzugehen, nahm sie sofort wahr. Es folgten fünf Semester in Webentwicklung und UI/UX-Design und zwei weitere Kurse in „Cyber Security“. Zweimal die Woche, immer abends, traf sich Ayesha Khan mit ihren Kommiliton:innen und dem Dozenten zum Onlineseminar. Nach jedem Semester präsentierte auch sie beim DemoDay ihre Semesterabschlussarbeiten. Manches brachte ihr mehr Spaß, anderes weniger. Im Gespräch mit ihr wird aber deutlich, dass es bei der ReDI-School um noch viel mehr geht als die IT-Kenntnisse. Unter den Studierenden entsteht ein stabiles Netzwerk und neben digitalen Kompetenzen nehmen die Teilnehmenden auch viele Soft Skills mit. „Die gegenseitige Unterstützung, die Kontakte zu den Unternehmen, das alles ist sehr wertvoll. ReDI ist so etwas wie eine Familie für mich geworden. Ich fühle mich seitdem viel wohler in Hamburg. Ich bin selbstbewusster und trete mit einem neuen Selbstverständnis auf“, erzählt Ayesha Khan.
Nach einigen Stationen arbeitet sie heute in der Corporate Social Responsibility Abteilung von Capgemini, einem Partner der ReDI-School. Eine ihrer ersten Ideen dort: Das Unternehmen noch stärker in die ReDI-School einzubinden, denn sie möchte, dass noch viel mehr Menschen von dem Angebot profitieren – vor allem die Frauen: „Frauen wie ich mit Migrations- und Fluchthintergrund, die aus ganz anderen Kulturkreisen kommen, sind scheu. So sind wir sozialisiert. Hier gibt es viel mehr Freiheit. Sie zu nutzen, zu verstehen, dass auch wir alles lernen und entwickeln können, das ist auch etwas, was die ReDI-School vermittelt.“ Und sie ergänzt: „Seitdem ich in Deutschland bin, habe ich so viel gelernt. Das möchte ich anderen Frauen auch weitergeben. Sie sollen sich nicht demotivieren lassen und darauf vertrauen, dass auch sie das erreichen können, was ich geschafft habe.“
Ein Ziel, dass die ReDI-School mit Ayesha Khan teilt: Fast alle Standorte bieten spezielle Kurse für Frauen an – entweder online oder wenn nötig mit paralleler Kinderbetreuung. Und das erfolgreich: In Hamburg zum Beispiel gab es im ersten Semester 2024 erstmals mit 62 Prozent mehr Frauen als Männer unter den Studierenden. Eine Statistik, von die der deutsche IT-Sektor noch weit entfernt ist. Auch das zeigt die großen Potenziale, die die ReDI-School freisetzen kann.