Mein Weg vom Gefängis ins Klassenzimmer
„Ich finde es sehr beeindruckend, wie offen du über deine Vergangenheit und vor allem über deine Kindheit gesprochen hast, das hat mich echt berührt und nachdenklich gemacht“, sagt eine Schülerin am Ende der Schulstunde zu dem Mann an der Tafel. Doch es ist keine gewöhnliche Schulstunde an diesem Vormittag für die achte Klasse – sondern ein Präventionsunterricht. Der Mann vorn an der Tafel ist Volkert Ruhe. Er ist kein Lehrer oder Pädagoge. Er ist ehemaliger Gefängnisinsasse und Geschäftsführer des Vereins „Gefangene helfen Jugendlichen“. Im Rahmen von Präventionsprojekten wie diesem Schulbesuch konfrontiert er, gemeinsam mit seinen Kollegen, junge Menschen mit den Themen Kriminalität, Haft, Drogen oder das Abrutschen auf die schiefe Bahn – um sie zum Nachdenken anzuregen. „Bei unserem einzigartigen Lösungsansatz vermitteln ehemalige Häftlinge und aktuell einsitzende Straftäter Kindern und Jugendlichen die Folgen von Straftaten und Gewalt“, erklärt der Hamburger. „Dadurch intervenieren wir auf einer anderen Ebene als die klassischen gewalt- und kriminalpräventiven Projekte. Unsere Zielgruppe erreichen wir auf eine besondere Art und Weise. Wir konfrontieren sie. Wir sensibilisieren sie. Und wir diskutieren mit ihnen auf Augenhöhe.“ Während seiner Haftzeit war Ruhe einer von insgesamt drei Strafgefangenen in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel in Hamburg, die auf die Idee zu dieser besonderen Arbeit gekommen sind. Schon bei der Gründung 1996 war das Ziel klar: Inhaftierten während der oftmals langen Haftzeit eine sinnvolle Aufgabe zu geben und somit die Resozialisierung zu fördern. Gleichzeitig steckte dahinter der Gedanke, junge Menschen durch die persönlichen Erfahrungen der Inhaftierten von einer kriminellen Karriere abzubringen oder vor einem ähnlichen Werdegang zu bewahren. In verschiedenen Präventionsprojekten treffen Jugendliche auf Menschen aus dem Gefängnis oder dem offenen Vollzug. Diese geben Einblicke in ihre persönlichen Biografien und leisten wichtige Aufklärungsarbeit – über Haftbedingungen, das Leben im Strafvollzug, das Abrutschen ins kriminelle Milieu oder die Folgen von Straftaten und delinquentem Verhalten. Auf diese Weise erfahren junge Menschen hautnah die schwerwiegenden Konsequenzen von Kriminalität – von denen, die es selbst erlebt haben. „Es ist ein Unterschied, ob irgendjemand einem Jugendlichen ins Gewissen redet oder einer, der den Knast schon am eigenen Leib erfahren hat.“ Mit diesen Worten resümiert die Max-Eyth-Schule in Dreieich auf ihrer Internetseite den Besuch des Vereins „Gefangene helfen Jugendlichen“ an ihrer Schule. Dieser Unterschied, den die Gefangenen ausmachen, ist wohl auch kennzeichnend für den Er- folg der außergewöhnlichen Präventionsarbeit. Benjamin Targan, ehemaliger Strafgefangener und mittlerweile Projektleiter am Standort Berlin, betont, was das Besondere an der Rolle der Inhaftierten in der Zusammenarbeit mit den Jugendlichen ist: „Wir begegnen den Jugendlichen auf Augenhöhe. Wir sind eher wie große Brüder für die Jungs, aber nicht wie Sozialpädagogen!“ Gleichzeitig bietet der Verein ihm – wie auch anderen (ehemaligen) Strafgefangenen – eine wichtige Perspektive. Der über 60-jährige Rudi* hat schon viele Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht. „Früher habe ich in den Tag hin- eingelebt, gekifft und getrunken. Heute habe ich eine Aufgabe und kann meine Erfahrungen an Jugendliche weitergeben. Die Arbeit gibt mir Stabilität und Halt, nicht zurückzufallen.“ Bei einem der Gefängnis-Projekt- tage seien die Mitarbeiter der JVA positiv überrascht von seiner Entwicklung gewesen. Auch viele ehe- malige Mithäftlinge hätten ihm solch eine Arbeit nicht zugetraut. „Solche Reaktionen geben mir ein besseres Selbstwertgefühl, und es macht mich stolz, ihnen zeigen zu können, dass ich anders bin, als sie mich eingeschätzt hatten.“ Ihm liege es sehr am Herzen, den Jugendlichen Denkanstöße zu geben und davon abzuhalten, Scheiße zu bauen. „Das war alles Dummheit, was ich damals gemacht habe. Das weiß ich heute selber“, erklärt er. Mit dem Wissen von heute wolle er mit seiner Arbeit einen Beitrag dafür leisten, dass es bei Jugendlichen gar nicht erst so weit kommt. Die Zusammenarbeit zwischen Jugendlichen und Inhaftierten sowie die Auseinandersetzung mit dem Thema Knast empfinde er vor allem als nachhaltig: „Das geht keinem Jugendlichen am Arsch vorbei!“ Natascha Preuß, arbeitet bei Gefangene helfen Jugendlichen e.V. *Namen geändert