Echte Teilhabe: Eine Stadt, die zuhört, kann die Welt verändern.

Kids playing in a city
Quelle: fugitivasoy

Viele argumentieren, dass entschlossenes Handeln angesichts der globalen Krise durch eine zu starke Beteiligung der Öffentlichkeit gebremst werden könnte. Bei Ashoka vertreten wir das Gegenteil und zeigen, wie im wirklichen Leben, sei es in New Yorker Schulen, in der Altenpflege oder bei der Inklusion junger Menschen, echte Teilhabe zu Resilienz, schnelleren Reaktionen und mehr sozialem Zusammenhalt führt. Städte und Kommunen sollten bei dieser Arbeit im Vordergrund stehen.

 

Als am 15. März 2020 1.800 New Yorker Schulen in den Lockdown gingen, sollten bis zu 1,1 Millionen Schüler zu Hause bleiben. Innerhalb von wenigen Tagen beschaffte die Bildungsbehörde der Stadt 321.000 iPads. Binnen kürzester Zeit einigten sich Eltern und Lehrer aller Schulen darauf, einander dabei zu vertrauen, wer wann wie Präsenz in der Schule zeigt. Und die tägliche Versorgung durch freie Schulmahlzeiten für alle Kinder wurde über Nacht weiterhin gesichert, sodass selbst die 120.000 als obdachlos klassifizierten Schüler(und später jede und jeder) bei einer Schule in ihrer Nähe kostenlos Mahlzeiten abholen konnten.

 

Das alles passierte ohne einen Generalplan, es gab hier kein Kommando oder Notfallpläne. Stattdessen trat jede:r Beteiligte:r – ob Lehrer:in, Elternteil, Schüler:in, Verwaltungsleiter:in – intuitiv in eine Führungsrolle. Wie von Geisterhand schienen Entscheidungen koordiniert zu sein, immer auf das Wohlbefinden der Lehrer:innen, aber vor allem der verwundbarsten Schüler:innen, ausgerichtet: Kinder sollten nicht unversorgt bleiben, nicht digital ausgegrenzt werden, nicht vereinsamen oder in ihrem Bildungsweg benachteiligt werden.

 

Wann immer ich mir eine Stadt oder Kommune vorstelle, in der jede und jeder sich eingeladen und fähig fühlen mitzumachen, denke ich an diese Monate der Pandemie im New Yorker Schulsystem. Was sich hier abspielte, war so anders als das, was ich aus Städten in Deutschland, aber auch in anderen Teilen der Welt zu hören bekam. Es war nicht nur nett, dass Eltern, Lehrerund Schulbehörden einander vertrauten. Es war sehr effektiv.

 

Niemand hatte die New Yorker auf eine Pandemie vorbereitet. Aber im Schulsystem hatte sich über Jahrzehnte ein kollektives Verständnis für die Bedürfnisse von unterversorgten Kindern ausgebreitet. So haben sich Schulen schon lange darum bemüht, dass nicht nur privilegierte Eltern, die sich um Exzellenz an der Schule sorgen, am Schulleben teilhaben, sondern dass Schulleiter:innen ihren Erfolg auch daran gemessen haben, ob sie es schaffen, den Weg zum Mitgestalten vorrangig für die Eltern zu ebnen, die am wenigsten Zeit und vielleicht auch am wenigsten Glauben an ihre eigene Fähigkeit hatten, mitzugestalten.

 

Das Schulsystem von New York ist alles andere als perfekt. Aber mit der Zeit hat sich ein moralischer Kompass entwickelt, der klare Prioritäten hatte: Als Covid-19 kam, wussten viele Beteiligte um die Umstände der Schwächsten und konnten die eigenen Privilegien dagegen einordnen. Und handelten daher verantwortungsvoll. Für mich ist das, was ich in New York erlebt habe, das Ergebnis von echter Teilhabe.

 

Seit Jahrzehnten fördert Ashoka mit Erfolg gesellschaftliche Innovationen auf der ganzen Welt: Zusammen verbessern die 4.000 Organisationen, die wir unterstützen, die Lebensumstände von mehr als 650 Millionen Menschen. Ein Erfolgsgeheimnis der Sozialunternehmer:innen, die wir unterstützen, ist meistens genau die Art von echter Teilhabe, die auch das Schulsystem von New York durch die Krise geholfen hat. Ein ähnlicher Effekt kann in vielen anderen Orten und Systemen beobachtet werden. Beispielsweise, wenn Menschen den Weg aus Werkstätten für Menschen mit Behinderungen in den freien Arbeitsmarkt gehen. Zum Beispiel als Sozialheldbei der gleichnamigen Organisation oder als Bildungsfachkräfte im Hochschulbetrieb, wie es das Institut für Inklusive Bildung organisiert. In beiden Beispielen sind es die ehemals von echter Teilhabe Ausgegrenzten, die jetzt ihren für alle spürbaren Beitrag zu einem besseren Bildungswesen und Gemeinwohl weitgehend selbst organisieren.

 

Partizipation und Teilhabe auf diese Art und Weise zu organisieren, ist unbequem und mühsam. Manche glauben, dass die Partizipation von marginalisierten Gruppen unseren Fortschritt nur verlangsamen und die Welt nur unnötig kompliziert machen würde. Aber die Welt ist voller Beispiele, die diesen Glauben widerlegen. Buurtzorg Nederland, eine Organisation in den Niederlanden, beschäftigt über 15.000 Kranken- und Altenpfleger:innen, die erstklassige Arbeit leisten. Lokal selbstorganisiert und ohne zentrales Management. Oder in kleinerem Maßstab, am Beispiel von Isabell Veronese. Ihr wurde aufgrund einer Sprachbehinderung von ihrer Klassenlehrerin auf der Förderschule gesagt, dass sie ihr nicht zutraut, Englisch zu lernen. Ihr Lebensweg bewies später, wie viel man ihr wirklich hätte zutrauen können. Durch ihre Qualifizierung am Institut für Inklusive Bildung gemeinnützige GmbH hat sie ihren Weg aus der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen in eine reguläre Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gefunden. Sie arbeitet jetzt als Bildungsfachkraft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, wo sie Studierende durch Workshops und Vorträge unterrichtet und ihnen so ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse und Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen vermittelt. Weniger als 1 % der Menschen, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen arbeiten, schaffen diesen Schritt auf den freien Arbeitsmarkt, allzu oft, weil niemand es ihnen zutraut. Echte Teilhabe ist eben nicht nur das Wahlrecht, sondern der Anspruch, einen Weg zu haben, der zum wirklichen Mitgestalten in der Gesellschaft führt.

 

Städte und Kommunen spielen eine wichtige Rolle auf dem Weg zu echter Teilhabe. Denn letztlich ist es die öffentliche Hand, auf lokaler Ebene, die direkt oder indirekt immer wieder ganz nah an den Menschen dran ist. Und so haben wir als Brücke zwischen dem Großen und Kleinen, der Verwaltung und den Menschen, gemeinsam mit vielen anderen Partner:innen das Team Teilhabe in Hamburg ins Leben gerufen. Hier bekommen zehn junge Zukunftsmacher:innen im Alter von 17-24 Jahren den Rückenwind und die Unterstützung von Menschen aus Verwaltung, Wirtschaft, Stiftungswesen und Medien, um ihre Ideen zu verwirklichen. Eine von ihnen ist Adelina Vynnyk-Krupchan, die vor zwei Jahren aus der Ukraine nach Hamburg gekommen ist. Ihrer eigenen Erfahrung des Ankommens und der anfänglichen Einsamkeit folgte eine spannende Zeit, in der sie die Möglichkeit entdeckt hat, sich ein neues Kapitel in ihrem Leben aufzubauen. Das inspirierte sie, anderen Menschen den Weg zum Ankommen zu ebnen. Im Team Teilhabe bestimmen Adelina und die anderen Zukunftsmacher:innen ihren Weg und können immer wieder auf ein hochmotiviertes Netzwerk von Unterstützer:innen zugreifen, die ihnen durch Mentoring, das Öffnen von Türen und Möglichkeiten zur Seite stehen.

 

Neben all den Innovationen, die dabei entstehen, verändert sich etwas spürbar in dieser Gemeinschaft: Bei allen Beteiligten wächst das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Für die jungen Menschen öffnet sich ein neuer Handlungsspielraum, weil sie ernst genommen werden und sich für ihre Ideen die Türen öffnen. Und die Unterstützererleben, wie sich ihre transformative Wirkung vervielfacht, wenn sie jungen Menschen den Weg bereiten, mitzugestalten.