»Als Kind habe ich oft gesagt, dass ich Bürgermeisterin werden möchte«
Wofür setzt du dich in deiner täglichen Arbeit ein und was treibt dich an, diese Arbeit zu tun?
Mit meiner Organisation, dem Centre for Feminist Foreign Policy, arbeiten wir daran, Außen- und Sicherheitspolitik feministischer zu machen. Das bedeutet, dass wir in den diplomatischen Kreisen der Außen- und Sicherheitspolitik versuchen, patriarchale Strukturen zu zerschlagen. Traditionell ist es so, dass außenpolitische Bereiche einen sehr starken Fokus auf staatliche Sicherheit statt auf menschliche Sicherheit haben. Das führt unter anderem dazu, dass es international weniger um Kooperation, sondern um Erpressung, Krieg und Konflikte geht. Das wollen wir ändern, indem wir die Rechte und die Ansichten und die Bedürfnisse von Gruppen in den Fokus nehmen, die sonst nicht an erster Stelle stehen. Da sind zum Beispiel Frauen als größte politische Minderheit, da sind aber genauso LGBTQI*-Menschen und nicht weiße Menschen. In unserer Vorstellung wird eine feministische Außenpolitik vor allem von den Vorstellungen einer feministischen Zivilgesellschaft beeinflusst. Es gibt Forschung, die besagt, dass der signifikanteste Faktor, ob ein Land nach innen oder anderen Ländern gegenüber gewaltbereit ist, das Niveau an Gleichberechtigung ist. Das bedeutet ganz klar, dass wir international keinen Frieden schaffen können und keine Konflikte verhindern werden, wenn wir nicht mehr feministisches Denken in Außen- und Sicherheitspolitik bekommen.
Ihr sagt, euch genüge es nicht, einen Platz am Tisch zu bekommen – ihr wollt einen neuen Tisch. Was meint ihr damit?
Würden wir nur einen Platz am Tisch verlangen, so würde das in der Praxis so aussehen, dass überall Quoten eingeführt werden, die Strukturen aber genauso bestehen blieben. Diesen Ansatz, dass man einfach mehr Frauen und politische Minderheiten in Entscheidungsgremien aufnimmt, den gibt es bereits in den Gender Equality-Plänen des europäischen Außenministeriums. Das ist so eine Art ‘Ticking the Box Exercise’, bei der die Strukturen nicht hinterfragt werden. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Strukturen, so wie sie bestehen, basierend auf den Erfahrungen und Bedürfnissen einer ganz kleinen Gruppe erstellt wurden. Wenn wir sagen, wir wollen einen neuen Tisch, dann meinen wir damit, dass wir am allerliebsten tabula rasa machen würden, um uns dann mit einer diversen Gruppe hinzusetzen und zu überlegen, wie man die Institutionen und deren Außenpolitik von Grund auf neu denken und gestalten muss. In der Realität sind wir natürlich irgendwo dazwischen. Wir fordern zum Beispiel, dass Gelder des European Peace Facility Fund nicht rein in die Erhöhung militärische Unterstützung weltweit fließen, sondern dass mehr in die feministische Zivilgesellschaft und in den Schutz von Menschenrechten fließt.
Wann bist du das erste Mal mit Feminismus in Berührung gekommen?
Ich bin sehr behütet in einem Dorf mit 80 Einwohner:innen aufgewachsen, dort wohnt fast meine gesamte Familie. Von meinen Verwandten weiß ich, dass ich früher oft gesagt habe, dass ich Bürgermeisterin werden möchte. Was ich als Kind gesehen habe, ist, dass alle Leute in machtvollen Positionen auf dem Dorf, also Fahrschullehrer, Sportvereinvorstände, Wirtshausbesitzer, Pfarrer, Bürgermeister, … – dass das alles Männer sind. In der Schule war ich ziemlich gut, ich hatte eines der besten Abiture, aber ich kannte niemanden an der Uni und wusste nicht, was ich studieren soll. Ich habe dann erst mal Psychologie studiert. Die Familien aller meiner Freundinnen und Freunde waren Akademikerfamilien. Ich hatte immer dieses Gefühl des Nichtdazugehörens, weil mein Hintergrund ein anderer war. Während des Psychologiestudiums habe ich bemerkt, dass mich gesellschaftspolitische Themen interessieren, und ich habe mich umgesehen, wo man Politik studieren kann. Durch die Unterstützung von Bekannten und Freunden habe ich mich in Oxford beworben und wurde genommen. Es gab viele Dinge, die ich mich nur zugetraut habe, weil andere mich bestärkt haben. Das ist ja ein großes Thema bei Arbeiterkindern, die kommen in viele Strukturen nicht rein, weil sie einfach nicht auf der Startlinie, sondern so zehn Kilometer dahinter starten. Meine ersten Auseinandersetzungen mit kritisch-feministischem Denken hatte ich während meiner Studienzeit in Großbritannien. Das hat sich dann über die Jahre hinweg vertieft, in denen ich auf viele Ungerechtigkeiten aufmerksam geworden bin und etwas dagegen tun wollte.
Über Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP)
Über sich selbst sagt Kristina Lunz, dass sie vor allem Aktivistin sei. Ihre Toleranz gegenüber Ungerechtigkeiten gehe gegen Null. Sie hat bereits mehrere Kampagnen und Projekte gegründet, unter anderem die NGO ‘GEM – Gender Equality Media e.V.’, die Aufmerksamkeit für den Zusammenhang zwischen medialen Sexismus und geschlechtsspezifischer Gewalt schaffen will. Lunz hat als wissenschaftliche Beraterin zu Themen wie internationaler Waffenhandel, internationale Sicherheit sowie Frauen, Frieden und Sicherheit (Women, Peace and Security – WPS) gearbeitet. 2019 setzte Forbes sie auf die ‘30 under 30’-Liste, außerdem kam sie auf die DACH-30 under 30-Liste des Magazins. Lunz ist nicht nur Ashoka-Fellow, sondern eine Atlantik Brücke Young Leader, Gates Foundation SDGs Goalkeeper und BMW Foundation Responsible Leader. Kristina Lunz ist Mitbegründerin und Deutschlanddirektorin des Centre for Feminist Foreign Policy und Beraterin für das Auswärtige Amt.